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VGH Mannheim legt Voraussetzungen von Maßnahmen gegen Kartoffelkrebs fest

Der VGH Mannheim hat in seinem Urteil vom 23.06.2022 in einem von uns geführten Verfahren wichtige Leitplanken für Maßnahmen gegen Quarantäneschädlinge (hier: Kartoffelkrebs) aufgestellt:

Die Einrichtung eines abgegrenzten Gebiets nach Art. 18 Abs. 1 VO (EU) 2016/2031 (juris: EUV 2016/2031) und Tilgungsmaßnahmen nach Art. 17 VO (EU) 2016/2031 (juris: EUV 2016/2031) setzen voraus, dass eine Situation nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a oder b VO (EU) 2016/2031 (juris: EUV 2016/2031) gemäß Art. 10 VO (EU) 2016/2031 (juris: EUV 2016/2031) amtlich bestätigt ist und nicht nur besorgt wird. Hierfür ist nicht ausreichend, dass der Unionsquarantäneschädling (hier: Kartoffelkrebs) in einer Sendung von Pflanzkartoffeln aufgetreten ist, die innerhalb des Landes verbracht wurde, mithin eine Situation im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Buchst. c VO 2016/2031 (juris: EUV 2016/2031) vorliegt und das Auftreten auf dem Gebiet gemäß Art. 10 VO (EU) 2016/2031 (juris: EUV 2016/2031) nicht amtlich bestätigt wurde.

Die Abgrenzung einer Sicherheitszone gemäß § 4 Abs. 1 KartKrebs/KartZystV setzt voraus, dass entweder das Auftreten von Kartoffelkrebs auf der Anbaufläche festgestellt wird oder die Anbaufläche als befallen gilt, weil an mindestens einer Kartoffelpflanze oder Kartoffelknolle dieser Anbaufläche Kartoffelkrebs festgestellt wird. Nicht hinreichend für die Abgrenzung einer solchen Zone ist, dass der Kartoffelkrebs ausschließlich an einzelnen Pflanzkartoffeln der für die Pflanzung verwendeten Partie festgestellt wurde, die auf der betroffenen Anbaufläche aber nachweislich nicht ausgepflanzt wurden.

Der VGH hatte über folgenden Fall zu urteilen:

Die Klägerinnen waren gemeinschaftlich Eigentümerinnen eines landwirtschaftlichen Grundstücks, dass dies an einen Landwirt zur Bewirtschaftung überließ, der es seineseits  unterverpachtet hat. Der Bewirtschafter nutzt die landwirtschaftliche Fläche teilweise zum Anbau von Kartoffeln.

Als Pflanzgut hierfür nutzte der Bewirtschafter im Frühjahr 2017 unter anderem eine Handelseinheit von 150 Kilogramm Kartoffelknollen der Sorte „Jelly“, die aus der Partie mit einer bereits zugeteilten Anerkennungsnummer  stammten und die er im Frühjahr 2017 über eine ZG erworben hatte. Die Partie umfasste ursprünglich 20 Tonnen Pflanzkartoffeln. Der Erzeuger stellte am 23.05.2017 beim Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg einen Antrag auf Anerkennung der Partie als Pflanzgut nach § 19 der Pflanzkartoffelverordnung. Aufgrund einer kleinen Wucherung am Keim einer Kartoffelknolle dieser Partie ergab sich ebenfalls am 23.05.2017 bei einer Probennahme des Landratsamtes Sigmaringen (Probe Nr. 2116/17) aus acht verschlossenen Säcken (je 25 kg) der Verdacht auf einen Befall mit dem Kartoffelkrebs (synchytrium endobioticum). Eine Untersuchung von weiteren 200 Knollen aus den acht Säcken und zwei weiteren, unverschlossenen Säcken derselben Partie durch das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenberg am 26.05.2017 bestätigte diesen Verdacht. An zwei weiteren Knollen dieser Stichprobe wurde ein Befall mit dem Kartoffelkrebs nachgewiesen.

Mit gleichlautenden Bescheiden vom 10.07.2017 traf das Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis folgende pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen:

Nach Ziffer 1 des jeweiligen Bescheids sind Kartoffelbestände, die aus der Partie der Sorte „Jelly“ mit der Anerkennungsnummer XYZ. erwachsen sind, mit einem Unkrautbekämpfungsmittel mit dem Wirkstoff Glyphosat so zu behandeln, dass der Erreger des Kartoffelkrebses vernichtet wird und sind noch nicht ausgepflanzte Reste dieser Partie durch Verbringen in eine Müllverbrennungsanlage so zu behandeln, dass der Erreger des Kartoffelkrebses vernichtet wird. Die Fläche des Flurstücks auf der das Pflanzgut aus der Partie ausgepflanzt wurde, und daran angrenzende Flächen laut einem Anhang, wurden gemäß Ziffer 2 des jeweiligen Bescheids zur Sicherheitszone erklärt, in der keine Kartoffeln angebaut und keine Pflanzen, die zum Verpflanzen auf andere Flächen bestimmt sind, angebaut, eingeschlagen oder gelagert werden dürfen. Das Anbauverbot gilt solange, bis das Landratsamt die Sicherheitszone ausdrücklich und schriftlich aufhebt; abweichend hiervon dürfen in der Sicherheitszone (zwei Reihen rechts und links der Befallszone) Kartoffeln angebaut werden, wenn diese gegen die Rasse des Erregers des Kartoffelkrebses resistent sind. Nach Ziffer 3 des jeweiligen Bescheids hat der Bewirtschafter der Befallsfläche sicherzustellen, dass keine Verschleppung von Bodenmaterial auf andere Flächen stattfindet. Hierzu sind alle Gegenstände, Geräte oder Maschinen, die mit einer befallenen Partie oder mit einer befallenen Fläche in Berührung gekommen sind, gründlich zu reinigen. Dabei anfallende Erde muss vernichtet oder auf die Befallsfläche verbracht werden. Darüber hinaus dürfen auf der befallenen Fläche keine Erdbewegungen durchgeführt werden, die zu einer Verschleppung des Kartoffelkrebserregers auf andere Flächen führen könnten. In Ziffer 4 des jeweiligen Bescheids wurde die sofortige Vollziehung des Bescheids angeordnet. Zur Begründung führte das Landratsamt unter anderem aus, Ziffer 1 des Bescheids stütze sich auf § 6 der Verordnung zur Bekämpfung des Kartoffelkrebses und der Kartoffelzystennematoden (KartKrebs/KartZystV), Ziffer 2 des Bescheids auf § 4 KartKrebs/KartZystV. Eine Anbaufläche gelte gemäß § 4 Abs. 3 KartKrebs/KartZystV als befallen, wenn an mindestens einer Kartoffelpflanze oder Kartoffelknolle Kartoffelkrebs festgestellt worden sei. Die Partie gelte damit als befallen, eine Abgrenzung befallener von nicht befallenen Teilpartien sei nicht möglich. Auf Antrag und Kosten des Pächters könne die Fläche frühestens nach 15 Jahren von der zuständigen Behörde untersucht werden.

Dem hat der VGH nun eine klare Absage erteilt.

Die Einrichtung eines abgegrenzten Gebiets nach Art. 18 Abs. 1 Verordnung (EU) 2016/2031 und das Ergreifen von Tilgungsmaßnahmen nach Art. 17 Verordnung (EU) 2016/2031 setzen nämlich voraus, dass eine Situation nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a oder b Verordnung (EU) 2016/2031 gemäß Art. 10 Verordnung (EU) 2016/2031 amtlich bestätigt ist und nicht nur vermutet wird. Es genügt auch nicht für die Einrichtung eines abgegrenzten Gebiets und das Ergreifen von Tilgungsmaßnahmen auf diesem Gebiet, wenn – wie hier – der Unionsquarantäneschädling Kartoffelkrebs in einer Sendung von Pflanzkartoffeln aufgetreten ist, die innerhalb des Landes verbracht wurde, ohne dass das Auftreten auf diesem Gebiet amtlich bestätigt worden ist.

Bei einem Verdacht, der Kartoffelkrebserreger könnte auf der Anbaufläche vorhanden sein, erlaubt die Verordnung (EU) 2016/2031 lediglich Maßnahmen zur Bestätigung des befürchteten Befalls, nicht hingegen Maßnahmen zur Bekämpfung eines unterstellten Befalls. Nach Art. 17 Abs. 1 und 18 Abs. 1 Verordnung (EU) 2016/2031 muss eine Situation nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a oder b Verordnung (EU) 2016/2031 nämlich amtlich bestätigt sein. Von einer amtlichen Bestätigung kann gemäß Art. 10 Verordnung (EU) 2016/2031 nur gesprochen werden, wenn Maßnahmen der zuständigen Behörde bestätigen, dass der Schädling tatsächlich auftritt. Neben einem nichtamtlichen Nachweis über das Auftreten ist der (bloße) Verdacht der zuständigen Behörde danach eine Situation, die das Erfordernis amtlicher Untersuchung und Bestätigung erst auslöst. In diesem Zusammenhang erwähnt Art. 10 Verordnung (EU) 2016/2031 – anders als Art. 17 Abs. 1 und Art. 18 Abs. 1 Verordnung (EU) 2016/2031 – ausdrücklich die in Art. 11 Abs. 1 Buchst. c Verordnung (EU) 2016/2031 vorgesehene Situation des Auftretens in einer Sendung von Pflanzen.
Der Unionsgesetzgeber verfolgt insoweit ein abgestuftes Maßnahmenregime. Danach begründet das amtlich bestätigte Auftreten des Kartoffelkrebses in einem Teil einer Partie von Pflanzkartoffeln bezüglich einer Fläche, auf der ein anderer, lediglich im Verdacht eines Befalls stehender Teil derselben Partie ausgepflanzt worden ist, einen Gefahrenverdacht, der zu Vorsorgemaßnahmen geringerer Intensität und Dauer sowie zu Gefahrerforschungsmaßnahmen berechtigt (vgl. insbesondere Art. 10, 14 und 15 Verordnung (EU) 2016/2031), nicht aber zu weitergehenden Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, den auf der Fläche (noch) nicht amtlich festgestellten Erreger des Kartoffelkrebses zu bekämpfen. Bei der Einrichtung eines abgegrenzten Gebiets (Art. 18 Abs. 1 Verordnung (EU) 2016/2031) auf einer Anbaufläche, die mit Tilgungsmaßnahmen einhergehen (vgl. Art. 17 Abs. 1 Verordnung (EU) 2016/2031), handelt es sich um eine Maßnahme, die nicht nur der Vorsorge oder Gefahrerforschung, sondern bereits der Bekämpfung dient; sie ist nach der Verordnung (EU) 2016/2031 bei einem bloßen Verdacht unzulässig.

(Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Juni 2022 – 13 S 106/20)